22. Mai 2014

Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Straßengesetzes und anderer Vorschriften

Sehr geehrte Damen und Herren,

der BUND Sachsen e.V. bedankt sich für die Beteiligung im o.g. Verfahren zur Änderung u.a. des Straßengesetzes und nimmt nachfolgend Stellung.

Allgemeines

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen das Sächsische Straßengesetz, das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung im Freistaat Sachsen und das Sächsische Naturschutzgesetz geändert werden. Den anerkannten Naturschutzvereinigungen ist für die Erarbeitung einer Stellungnahme eine Frist von 13 Werktagen eingeräumt worden. Um die ehrenamtlich Tätigen in die Arbeit einzubinden, ist diese Frist definitiv zu kurz und Anlass für Kritik. Die am 21.05.2014 übermittelte Anmahnung einer unbedingten Wahrung der Frist wegen der angeblich besonderen Dringlichkeit belegt, dass kurz vor den anstehenden Landtagswahlen noch im Schnellschuss einschneidende Regelungen zu Lasten des Natur- und Umweltschutzes durchgedrückt werden sollen.

Zur geplanten Änderung des Sächsischen Straßengesetzes

Laut Gesetzentwurf dürfen Windenergieanlagen längs der Staats- und Kreisstraßen nur errichtet werden, wenn diese mit technischen Vorkehrungen gegen Eisabwurf ausgestattet sind und eine Entfernung von mindestens 150 m, gemessen vom äußeren Rand der befestigten Fahrbahn, bis zum Beginn der vom Rotor bestrichenen Fläche, eingehalten wird. Ist die Gesamthöhe der Windenergieanlage (Abstand zwischen Geländeoberfläche und höchstem Punkt der vom Rotor bestrichenen Fläche) größer als 150 m, ist eine Entfernung, die mindestens der Gesamthöhe entspricht, gemessen vom äußeren Rand der befestigten Fahrbahn, bis zum Beginn der vom Rotor bestrichenen Fläche, einzuhalten. Bei der Errichtung von Windenergieanlagen ohne technische Vorkehrungen gegen Eisabwurf ist eine Entfernung von mindestens 400 m, gemessen vom äußeren Rand der befestigten Fahrbahn, bis zum Beginn der vom Rotor bestrichenen Fläche, einzuhalten. Begründet wird dies damit, dass Teile von Windenergieanlagen oder Eis auf die Straße herabfallen können und die Verkehrssicherheit gefährden. Auch die Gefahr der Ablenkung der Verkehrsteilnehmer würde durch die Vergrößerung der Abstände von Windenergieanlagen verringert. Staats- und Kreisstraßen würden vor Beschädigungen geschützt.

Hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Landesentwicklungsplan Sachsen 2013 (LEP 2013) werden die Planungen kritisch gesehen. Dieser enthält in der Einleitung unter dem Punkt „Förderung von Innovation und Wachstum – Sicherung der räumlichen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft“ als einen Handlungsschwerpunkt die „Schaffung der räumlichen Voraus-setzungen zum Ausbau der Nutzung Erneuerbarer Energien (Kapitel 5.1 Energieversorgung)“.

Im Kapitel 5.1. Energieversorgung steht unter G 5.1.5:

Bei der Festlegung von Vorrang- und Eignungsgebieten zur Nutzung der Windenergie sollen unter anderem

  • die Windhöffigkeit der Gebiete,

  • bestehende technogene Vorbelastungen der Landschaft, insbesondere Autobahnen und andere Infrastrukturtrassen sowie die durch den Braunkohlenabbau geprägten Gebiets-regionen,

  • Lagen, welche nicht in besonderer Weise die Kulturlandschaft prägen,

  • die Möglichkeiten der Netzeinspeisung,

  • das besondere Interesse, Altanlagen durch Neuanlagen zu ersetzen (Repowering) und

  • die lokale Akzeptanz von Windenergieanlagen, auch im Hinblick auf einen hinreichenden Abstand zu Wohngebieten

berücksichtigt werden.“

Die Flächen links und rechts der Straßen werden oft landwirtschaftlich genutzt und stellen in diesen Fällen keine sensiblen Naturräume dar. Auch gibt es i.d.R. keine entgegenstehenden Belange des Artenschutzes. Bei einem „Verlagern“ der Anlagen weiter entfernt von den Straßen erhöht sich jedoch das naturschutzrechtliche und artenschutzrechtliche Konfliktpotenzial.

Nach Recherchen des NABU sind keine der genannten Havarien aufgetreten (Gefährdung der Verkehrssicherheit und Beschädigungen des Straßenbelages). Mit der gleichen Begründung könnte man mindestens Gefahrguttransporte von der Straße verbannen und den Transport auf der Schiene zwingend vorschreiben. Bei Vereisungen der Anlagen kann hingegen mit dem Abschalten derer reagiert werden (detailliert s.u.).

Pauschal die Errichtung von Windenergieanlagen in einem festgelegten Abstand von Kreis- und Staatsstraßen auszuschließen, bedeutet einen Ausschluss dieser Raumnutzung für große Teile Sachsens, in denen diese bisher aus verkehrsplanerischer Sicht möglich war. Sachsen besitzt außerörtliche Kreisstraßen auf einer Länge von 3.491 km (Stand: 1.1.2013, Statistisches Bundesamt, 2014) und 4.753 km Staatsstraßen (Stand: 1.1.2013, Statistisches Bundesamt, 2014). Um eine grobe Vorstellung von der durch die intendierte Regelung pauschal geschaffene Restriktionsfläche zu bekommen, wird nachfolgend die Länge des Straßennetzes multipliziert mit den beidseitigen Abstandsflächen von je 150 m. Im Ergebnis ist pauschal eine Fläche von insgesamt ca. 2.500 km² betroffen [3.491 km x 0,3 km = 1.047,3 km², 4.753 km x 0,3 km = 1.425,9 km²]. Einen gesetzlichen Ausschluss von 2.500 km² für die Windenergienutzung halten wir für falsch, wenn gleichzeitig die mit der intendierten Regelung beabsichtigte Schutzwirkung für Straßen und Autofahrer auch auf einfachere und flexiblere Weise erreicht werden kann. Sachsen hat insgesamt circa 15.500 km² Landwirtschafts-, Wald- und Erholungsflächen. Von diesen per Gesetz zusätzlich zu den vielen anderen bestehenden Restriktionen 1/6 zur Tabuzone für Windenergie zu erklären, halten wir für eine unnötige und klima-/energiepolitisch nachteilige Regelung, da alternative Möglichkeiten zur Vermeidung der Eiswurfgefahr auf Straßen bestehen (s.u.).

In der Einzelbegründung zur intendierten Regelung wird ausgeführt, dass die Einführung „harter“ Tabuzonen im Einklang mit den Zielen des Energie- und Klimaprogramms Sachsen 2012 steht und diese Tabuzonen deshalb vertretbar wären. Diese Argumentation halten wir für nicht tragfähig, da die Ziele zum Ausbau der Windenergie im Energie- und Klimaprogramm Sachsen 2012 wenig ambitioniert sind und bereits heute absehbar ist, dass bei der nächsten Über-arbeitung eine deutliche Ausweitung der Eignungsflächen für Windenergieanlagen aus klima- und energiepolitischen Zwängen erforderlich werden wird. Die Umsetzung dieses absehbaren Erfordernisses zu erschweren – ggf. teilweise zu verhindern – halten wir für eine kontra-produktive gesetzliche Regulation, der bereits heute absehbar Änderungsbedarf innewohnt.

Mit dieser intendierten gesetzlichen Regelung wird implizit eine Gewichtung zwischen Straßen- und Klimaschutz vorgenommen. Die Absicht, mit einer Regelung vorrangig zum vermeintlichen Schutz der Straßen und der Verkehrssicherheit im Straßengesetz die raumplanerische Kompetenz zur Anordnung von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien erheblich einzuschränken, räumt de facto dem Schutz der Straßen und der Verkehrssicherheit einen höheren Stellenwert ein, als dem Schutz des Klimas als raumplanerische Aufgabe. Der sehr große räumliche Umgriff dieser angestrebten gesetzlichen Regelung und die grundsätzliche Langfristigkeit, mit der gesetzlichen Regelungen angelegt sind, halten wir für unangemessen. Letztere bedeutet eine dauerhafte Restriktion für Windenergieanlagen in Straßenrandbereichen. Damit sind diese Bereiche auch für die Umsetzung zukünftig neu justierter politischer und raumplanerischer Ziele für den Ausbau erneuerbarer Windenergie gesperrt. Das würde eine unangemessene dauerhafte Gewichtung der Belange „Straßenschutz“ und „Verkehrssicherheit“ gemessen an ihrer tatsächlichen gesellschaftlichen und politischen Bedeutung gegenüber der bereits heute außerordentlich bedeutenden Aufgabe „Klimaschutz“ darstellen – die übrigens auch in ganz erheblichem Maß zum Schutz des menschlichen Lebens und der Gesundheit dient.

Zur Vermeidung des Eisschlags auf benachbarte Staats- und Kreisstraßen wären auch einfache technische, regelbasierte Steuerungslösungen denkbar. So könnten z.B. bei bestimmten Windrichtungen und Windstärken sowie gleichzeitiger Vereisungsgefahr der Rotoren die WEA abgeschaltet werden. Das beträfe die seltenen Wetterbedingungen im Jahr, bei denen der Wind im 45 – 90° Winkel zu den benachbarten Straßen weht – bei gleichzeitiger Vereisungsgefahr. Das dürfte die Wirtschaftlichkeit dieser Anlagen kaum einschränken. Die hier angestrebte gesetzliche Lösung erscheint vor diesem Hintergrund als eine unnötige zusätzliche gesetzliche Regelung, die auch ein Investitionshemmnis darstellt. Alleine die Gefahren eines Brandes oder des Herabstürzens durch Brand beschädigter Teile jedenfalls dürften kaum – gemessen der Seltenheit ihres Auftretens – ausreichen, um eine gesetzliche Regelung dieses Nutzungskonflikts mit derart großen räumlichen Auswirkungen zu begründen.

Insgesamt vertreten wir die Auffassung, dass eine gesetzliche Regelung der Abstände von Windenergieanlagen zu Straßen das falsche Mittel ist. Restriktionskriterien und Ausweisungskriterien als Vorgabe des Sächsischen Staatministeriums des Innern für die Regionalen Planungsverbände reichen unseres Erachtens aus, um Raumnutzungskonflikte erfolgreich planerisch und situationsangemessen zu bewältigen. Ganz im Sinne einer von der Staatsregierung generell befürworteten Deregulierung und Bewahrung sowie Erhöhung der Flexibilität des Verwaltungshandelns halten wir die hiermit intendierte gesetzliche Regelung für einen Schritt in die falsche Richtung und lehnen diese ab.

Zur Änderung des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung im Freistaat Sachsen

Das Gesetz soll dahingehend geändert werden, dass Vorhaben für den „Bau, Ausbau und die Verlegung von sonstigen öffentlichen Straßen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 4 Buchst, b des Straßengesetzes für den Freistaat Sachsen nicht mehr der generellen UVP-Pflicht unterliegen, sondern einer Prüfung im Einzelfall. Ziel der Rechtsänderung soll die Deregulierung und größere Flexibilität bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit einer UVP bei sonstigen öffentlichen Straßen sein. Dabei wird auf derzeitige Regelungen in anderen Bundesländern hingewiesen.

Für den Bau sonstiger öffentlicher Straßen durch ein Biosphärenreservat oder ein Landschafts-schutzgebiet auf einer Länge von mindestens 5 km, durch einen Naturpark auf einer Länge von mindestens 10 km, durch geschlossene Ortschaften auf einer Länge von mindestens 2 km bei einer durchschnittlichen prognostizierten Verkehrsstärke von 15.000 Kfz oder auf einer Länge von mindestens 1 km durch Naturdenkmäler und Biotope soll keine zwingende UVP-Pflicht mehr gegeben sein, sondern nur eine Pflicht zur Vorprüfung des Einzelfalls.

Diese Änderung lehnt der BUND Sachsen e.V. ab, da ein sachlicher Grund dafür, die bisherige Annahme, dass sonstige Straßen im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 4 b) SächsStrG bei einer Verdoppelung der Streckenlänge den Vorhaben im Sinne der Nr. 2 d) bis g) der Anlage 1 zum SächsUVPG gleichfalls die Vermutung erheblicher Umweltauswirkungen in sich tragen, in Frage zu stellen, nicht erkennbar ist und in der Gesetzesbegründung auch nicht erwähnt wird. Ausschlaggebend sind hier allein der Wunsch nach weiterer Verfahrensbeschleunigung und die irrige Annahme, noch Spielraum für „Erleichterungen“ entdeckt zu haben. Es ist nicht erkennbar, dass sich die Gesetzesbegründung – wie unionsrechtlich nach Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/92/EU geboten – bei der Herabstufung der fraglichen Verfahren in eine Einzelfall-untersuchung an Anhang III der Richtlinie 2011/92/EU orientieren würde.

Es bestehen ohnehin bereits Zweifel, ob die bisher festgelegten Schwellenwerte in Form von pauschalen Streckenlängenkriterien den Vorgaben des Anhangs III der Richtlinie entsprechen, da der Sächsische Gesetzgeber jegliche Straßenbauvorhaben unterhalb dieser Schwelle ganz generell einer UVP entzieht, indem für diese Fälle nicht einmal eine Vorprüfungspflicht vorgesehen ist. Gleichwohl stellt selbst die Gesetzesbegründung fest, dass letztlich alle Straßenbauvorhaben, z.B. durch die Bauarbeiten selbst, erhebliche Umweltauswirkungen haben können. Der BUND Sachsen e.V. geht deshalb davon aus, dass die bisherige Regelung ebenso wie die geplante Änderung nicht unionsrechtskonform ist. Gleiches gilt für den im Freistaat zu beobachtenden Vollzug der Vorprüfungspflicht, der im Regelfall dazu führt, dass keine UVP durchgeführt wird. Dies gilt insbesondere im Zusammenwirken mit der geplanten Änderung des SächsNatSchG, die absehbar dazu führen dürfte, dass die zuständigen Behörden für den Bau von Rad- und Wanderwegen außer bei unmittelbarer Inanspruchnahme von Natura 2000-Gebieten keine UVP mehr durchführen, da die gesetzgeberische Vermutung für das Nichtvorliegen eines Eingriffs im Sinne des § 14 Abs. 1 BNatSchG ganz selbstverständlich Bestandteil der Auswirkungsprognose im Rahmen des § 3c UVPG werden wird. Die Umwandlung der UVP-Pflicht in eine Vorprüfungspflicht ist deshalb gleichbedeutend mit einer Abschaffung der UVP-Pflicht.

Allerdings darf darauf verwiesen werden, dass der bisher sehr großzügige Umgang mit Vorprüfungen in Sachsen nach neuer Rechtsprechung des BVerwG ohnehin absehbar überprüfungswürdig werden dürfte. Die künftige Handhabung der neu vorgesehenen Bestimmungen – sollten diese trotz fachlicher und verfassungs- und europarechtlicher Bedenken noch kurz vor der Landtagswahl durchgesetzt werden – dürfte insofern ausreichend Anlass zur Fortentwicklung der Rechtsprechung geben.

Hinzu kommen absehbare Vollzugsdefizite bei den europarechtlichen Regelungen des speziellen Artenschutzes. Die Notwendigkeit zur Durchführung einer Artenschutzprüfung ergibt sich aus den Artenschutzbestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG). Mit den Regelungen der §§ 44 Abs. 1,5,6 und 45 Abs. 7 BNatSchG sind die entsprechenden Vorgaben der FFH-RL (Art. 12, 13 und 16 FFH-RL) und der V-RL (Art. 5, 9 und 13 V-RL) in nationales Recht umgesetzt worden. Es bedarf keiner Umsetzung durch die Länder, da das Artenschutzrecht unmittelbar gilt.

Nach nationalem und internationalem Recht werden drei verschiedene Artenschutzkategorien unterschieden (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 12 bis 14 BNatSchG):

  • besonders geschützte Arten (nationale Schutzkategorie),

  • streng geschützte Arten (national) inklusive der FFH-Anhang IV-Arten (europäisch)

  • europäische Vogelarten (europäisch).

Damit gehören zum Prüfumfang einer Artenschutzprüfung die europäisch geschützten FFH-Anhang IV-Arten und die europäischen Vogelarten. Um zum Ergebnis zu kommen, dass keine geschützten Arten betroffen sind, ist zumindest eine Vorprüfung vorzulegen, in der durch eine überschlägige Prognose geklärt wird, ob und ggf. bei welchen Arten artenschutzrechtliche Konflikte auftreten können. Um dies beurteilen zu können, sind verfügbare Informationen zum betroffenen Artenspektrum einzuholen. Vor dem Hintergrund des Vorhabentyps und der Örtlichkeit sind alle relevanten Wirkfaktoren des Vorhabens einzubeziehen. Wenn artenschutz-rechtliche Konflikte möglich sind, ist für die betreffenden Arten eine vertiefende Art-für-Art-Betrachtung in Stufe II (mit Vermeidungs- und vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen) erforderlich, die ggf. in ein Ausnahmeverfahren münden kann. Nach den Vorgaben der Rechtsprechung ist im Rahmen einer Vorprüfung regelmäßig ein Einholen von Gutachten nicht erforderlich. Vorprüfungen erfolgen deshalb regelmäßig mit einem äußerst groben Maßstab, der dem individuenbezogenen Ansatz des Artenschutzrechtes widerspricht. Eine bloß überschlägige Prüfung voraussichtlicher Umweltauswirkungen, wie sie der Vorprüfung eigen ist, birgt deshalb die Gefahr, dass Vorgaben des Artenschutzrechtes verletzt werden. Zugleich besteht damit die Gefahr, dass artenschutzrechtliche Befreiungen gar nicht mehr für notwendig erachtet werden, da bereits die eigentlichen Konflikte nicht mehr erkannt werden. In letzter Konsequenz werden damit auch die Beteiligungs- und Einwirkungsmöglichkeiten der Umweltverbände verschlechtert.

Im Fazit lässt sich sagen, dass die angestrebte Deregulierung durch die geplante Gesetzes-änderung keineswegs erreicht werden kann – im Gegenteil die Rechtsunsicherheit für die verfahrensführenden Behörden steigt. Es wird daher dringend empfohlen, an der bisherigen UVP- Pflicht festzuhalten.

Insgesamt betrachtet wird die geplante Änderung des SächsUVPG deshalb abgelehnt und der Sächsische Gesetzgeber zugleich aufgefordert, die Vereinbarkeit der bestehenden Anlage 1 zum SächsUVPG im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 4 Abs. 2, 3 sowie Anhang III der Richtlinie 2011/92/EU zu überprüfen.

Zur Änderung des Sächsischen Naturschutzgesetzes

Der § 9 Absatz 2 des SächsNatSchG soll dahingehend ergänzt werden, dass Veränderungen der Gestalt oder der Nutzung von in der Vergangenheit rechtmäßig für Schienenwege der Eisen-bahnen genutzten Flächen oder damit im Zusammenhang stehende Veränderungen des mit der belebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels bei Aufnahme einer Nutzung als Rad- oder Wanderweg in der Regel nicht als Eingriff betrachtet werden, es sei denn, die Flächeninanspruchnahme geht nicht nur geringfügig über die in der Vergangenheit rechtmäßig für Schienenwege der Eisenbahnen genutzten Flächen hinaus.

Der BUND Sachsen e.V. lehnt diese geplante Gesetzesänderung strikt ab.

Aus rechtlicher Sicht bestehen bereits Zweifel an der erforderlichen Gesetzgebungskompetenz des Freistaates Sachsen. Mit der Neufassung des Bundesnaturschutzgesetzes hat der Bundes-gesetzgeber erstmals von seiner seit dem 1. September 2006 bestehenden konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis für den Naturschutz und die Landschaftspflege nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG Gebrauch gemacht.

Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG die Befugnis zur Gesetzgebung nur, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungs-zuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Für den Bereich des Naturschutzes und der Landschaftspflege regelt Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 GG, dass für den Fall, dass der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat, die Länder durch Gesetz hiervon abweichende Regelungen treffen können (so genannte Abweichungskompetenz). Nach Art. 72 Abs. 2 S. 3 GG geht insoweit im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht das jeweils spätere Gesetz vor. Ausgenommen von der Abweichungsmöglichkeit sind allerdings u.a. die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes und das Recht des Artenschutzes als so genannte abweichungs-feste Bereiche der Bundesgesetzgebung. Folglich sind die Länder nicht mehr befugt, Verbote und Befreiungen auf dem Gebiet des Artenschutzes zu regeln (dazu VG Berlin, Beschluss vom 10. Juli 2013 – 24 L 249.13 –, juris). Es spricht einiges dafür, die hier zu § 14 BNatSchG vorgesehene Abweichung als Regelung der allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes einzustufen. Dabei ist insbesondere zu sehen, dass der Bundesgesetzgeber das BNatSchG 2010 in Kenntnis einiger in den Ländern bestehender Positivlisten erlassen hat, ohne diese im BNatSchG aufzugreifen. Auch hat der Bundesgesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung den Anspruch gehabt, bundes-einheitlich geltende Vollregelungen zu treffen (vgl. BT-DRs. 16/12274). Ob die Länder nunmehr überhaupt berechtigt sind, hier eigene Regelungen zu treffen, wird angezweifelt. Teilweise werden allenfalls Positivlisten als zulässig erachtet (vgl. dazu Gellermann in Landmann/Rohmer, Band II, BNatSchG, § 14 Rn. 18).

Abgesehen davon sind die der Gesetzesbegründung zugrundeliegenden fachlichen Annahmen unzutreffend. Die Gesetzesbegründung übernimmt ungeprüft die Angaben eines Gutachtens, das aus wenigen Untersuchungen sehr weitreichende Schlussfolgerungen ableitet, die weder hinreichend dokumentiert noch belegt sind. Insoweit ist zunächst richtigzustellen, dass nicht – wie in der Gesetzesbegründung angegeben - „Untersuchungen“ den angeblichen Nachweis mangelnder Versiegelungswirkungen von Radwegen erbracht haben, sondern das in Bezug genommene Gutachten lediglich eine Untersuchung darstellt, die eine bisher allgemein als gegeben erachtete Versiegelungswirkung von Radwegen in Frage stellt.

In der Einzelbegründung zur intendierten gesetzlichen Regelung wird offenbar von der unzutreffenden Annahme ausgegangen, dass lediglich insbesondere eine tatsächliche Versiegelung oder Verdichtung des Bodenkörpers unter den Bahngleisen oder eine Veränderung des Wasserhaushaltes oder auch negative Auswirkungen auf das Landschaftsbild einen Eingriff darstellen. Angeblich würde das Gutachten nachweisen, dass der Bodenkörper und der Wasser-haushalt auf solchen Flächen keine zusätzliche erhebliche Beeinträchtigung erfahren, auf denen ein Radweg auf einem bestehenden, alten Bahndamm gebaut wird. Ganz offensichtlich soll diese Argumentationslinie das Kernstück der Begründung darstellen. Diese Argumentation ist aber in wesentlichen Teilen unvollständig. Als Eingriff ist definiert die „Veränderung der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen …, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können.“ Damit fällt unter diese Definition des Eingriffstatbestandes bei weitem nicht nur die unmittelbare Auswirkung auf den Boden, wie zum Beispiel durch Versiegelung oder Verdichtung, oder auf den Boden-Wasserhaushalt, sondern z.B. auch die Auswirkung auf die Verdunstungsfunktion und insbesondere die Lebensraumfunktion für Tiere und Pflanzen sowie auch die Biotopverbundfunktion. Diese drei zuletzt genannten Naturhaushaltsfunktionen werden jedoch regelmäßig durch die 100 %-Versiegelung eines Radwegs auf alten Bahndämmen erheblich beeinträchtigt. Der Schotter-körper alter Bahndämme weist in der Regel einen Versiegelungsgrad von circa 50 % auf. Damit bietet er vielen geschützten und seltenen Arten Lebensraum (s.u.). Bäume wachsen auf den Bahntrassen und tragen gemeinsam mit der in den Hohlräumen des Schotterkörpers gespeicherten Feuchtigkeit zu einer erhöhten Verdunstungsleistung bei. Z.B. diese Funktionen des Naturhaushaltes werden regelmäßig bei der Anlage von Radwegen auf alten Bahndämmen erheblich beeinträchtigt. Damit ist der Eingriffstatbestand nach § 14 BNatSchG im Regelfall durch die Anlage von Radwegen auf Bahndämmen erfüllt. Das wird auch dadurch belegt, dass für bereits gebaute Radwege auf Bahndämmen in Sachsen nach der fachgutachterlichen Eingriffs-Ausgleichs-Bilanzierung im Regelfall Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nach § 13 BNatSchG benannt und festgelegt wurden. Dass dabei nicht in erster Linie eine Kompensation einer direkten Beeinträchtigung des Bodens oder der Grundwasserneubildungsfunktion Gegenstand der Maßnahmen gewesen sein muss, wurde oben bereits dargelegt.

Wenn nun aber behauptet wird, Radwegebau auf alten Bahndämmen sei im Regelfall kein Eingriff und – wie hier intendiert – per gesetzlicher Regelung der Bau von Radwegen auf Bahndämmen als „kein kompensationspflichtiger Eingriff“ i.S.d. § 14 BNatSchG definiert werden soll, wird in fachlicher Unkenntnis der Auswirkungen eines Radwegebaus eine länderrechtliche Abweichung von den abweichungsfesten allgemeinen Grundsätzen des § 13 BNatSchG – konkret dem Vermeidungsgebot und dem Kompensationsgebot – angestrebt. Bei einer absehbaren, potenziellen Anlage eines ganzen Radwegenetzes auf alten Bahntrassen in Sachsen würde es sich nicht um kleinräumige oder seltene Eingriffe und damit nicht um Bagatellfälle handeln. Deshalb und aus den oben genannten Gründen halten wir die angestrebte Regelung für nicht bundesrechts- und nicht verfassungskonform (vgl. Stackelberg, 2012: Die Abweichungs-kompetenz der Länder im Naturschutzrecht, S. 203 f. und auch RN 73 zu § 14 in Schumacher & Fischer-Hüftle, 2010).

Die in der Begründung zur Gesetzesänderung aufgestellte Behauptung, von Radwegen gehe keine betriebsbedingte Beeinträchtigung aus (vgl. S. 8 f. der Gesetzesbegründung), ist unzutreffend. Durch die Radfahrer können sowohl durch die sich bewegenden Silhouetten als auch durch Lärm, z.B. laute Gespräche, erhebliche Beeinträchtigungen für Nahrungs- und Bruthabitate besonders und/oder streng geschützter Vogelarten verursacht werden.

Soweit auf das Landschaftspflegekonzept Bayern aus dem Jahre 1994 Bezug genommen wird, ist auf dessen erhebliches Alter sowie die Tatsache zu verweisen, dass konkrete Erkenntnisse aus Sachsen hieraus nicht gewonnen werden können. Gerade die in den letzten Jahren im Freistaat Sachsen durchgeführten Radwegeplanungen haben gezeigt, dass diese auch im Falle einer Führung auf stillgelegten Bahnstrecken regelmäßig zu erheblichen Eingriffen führen können, die zweifelsfrei eines Ausgleiches bedürfen. Das Landschaftspflegekonzept Bayern trägt damit die beabsichtigte Regelung nicht.

Auch die Begründung für das angebliche Fehlen eines Eingriffs in das Landschaftsbild ist nicht haltbar. Die Annahme, auf Bahntrassen befänden sich oft noch die verrottenden Schienen und Weichen, sodass in der Regel sogar von einer Aufwertung des Landschaftsbildes ausgegangen werden könne, ist in der Mehrzahl der Fälle schlicht falsch, da Schienen und Gleise bei den im Freistaat Sachsen - auch wegen des Rückzugs der Bahn in der Fläche häufigen - nicht mehr genutzten Bahntrassen meist großflächig bewachsen sind. Überdies verschweigt die Gesetzes-begründung, dass auch die kritischen Fälle, in denen eine Bahntrasse nur noch rechtlich - Kraft fortbestehender Widmung wegen eines fehlenden eindeutigen entgegenstehenden Hoheitsaktes in Form einer Freistellung von Bahnbetriebszwecken – nicht aber mehr physisch existent ist und sich deshalb über weite Teile der „Strecke“ schützenswerte Fauna und Flora entwickelt hat, von der Regelvermutung erfasst werden. Derartige Strecken sind durchaus häufig. Insgesamt existieren in Sachsen mindestens mehr als 70 stillgelegte Bahnstrecken (http://de.wikipedia.org/ wiki/Liste_der_stillgelegten_Eisenbahnstrecken_in_Sachsen), von denen viele vollständig rück-gebaut wurden.

Überdies wird verkannt, dass im Rahmen der Eingriffsbewertung nicht lediglich Fragen der Versiegelungswirkung relevant sind, sondern auch sonstige anlage-, bau- und betriebsbedingte Wirkfaktoren. Insoweit geht eine Reduzierung des Eingriffstatbestandes auf einen reinen Flächenvergleich vor und nach der Baumaßnahme an den Realitäten vorbei und ist damit fachlich in keiner Weise begründbar. Die größte Eingriffsschwere ist durch die Baumaßnahmen als solche und den Artenschutz zu erwarten.

Die zunächst oftmals offenen und besonnten Schotterflächen bieten einen (Ersatz-) Lebensraum für mehrere seltene und geschützten Pflanzen- und Tierarten. Denn viele Blütensäume, arten-reiche Wiesen und Sonderbiotope sind der industriemäßigen landwirtschaftlichen Produktion zum Opfer gefallen. Besonders seltene Stechimmen, Heuschrecken und Tagfalter sind hier zu nennen. Als naturschutzfachlich beachtlich ist z.B. das Vorkommen der Purpur-Fetthenne (Sedum telephium) zu werten, denn diese Sedum-Art ist eine bedeutende Raupenfutterpflanze für den Fetthennen-Bläuling (Scolitantides orion) in besonders heißen Lebensräumen. Die Große Fetthenne kommt auf sonnigen oder halbschattigen Standorten zerstreut vor. Der Fetthennen-bläuling ist eine nach BArtSchV streng geschützte Art und in der FFH-Richtlinie Anhang II aufgeführt. In Sachsen gilt sie als vom Aussterben bedroht. Solche Vorkommen dieses Bläulings befinden sich z.B. in alten Bahnanlagen bei Meißen und bilden oft einen Biotopverbund oder haben Trittsteinfunktion.

In den Schluchtentälern Sachsens (Beispiel Müglitztal, Weißeritztal) kann auf altem Bahngelände der Wasserdost (Eupatorium cannabinum) vorkommen. Bei einem Nachweis von Wasserdost in diesen Bereichen ist auch mit der Spanischen Flagge (Euplagia quadripunctaria) zu rechnen. Diese Bärenspinnerart nutzt als Faltersaugpflanze den Wasserdost. Auch die Spanische Flagge ist in der FFH-Richtlinie Anhang II aufgeführt und in Sachsen eine prioritäre Art. Diese Arten erlangen damit europäischen Schutz. Für diese Falter sollten zielgerichtete Erfassungen durchgeführt werden, um Schutzmaßnahmen abzuleiten.

Auf alten besonnten Bahnanlagen ist je nach regionaler Lage mit dem Vorkommen von Zauneidechse (Lacerta agilis), Ringelnatter (Natrix natrix), Schlingnatter (Coronella austriaca) und/oder Kreuzotter (Vipera berus) zu rechnen. Alle diese Arten sind in der Roten Liste Sachsens aufgeführt. Zauneidechse und Glattnatter genießen zusätzlich in der FFH-Richtlinie Anhang IV europäischen Schutz (siehe Tab. unten).

Alte Bahnanlagen und auch Industriebrachen sind oftmals als wichtige Biotopverbundlinien in der überwiegend übernutzten Landschaft einzustufen. In manchen Gebieten Sachsens kommen nur hier bestimmte Sonderbiotope vor.

Deutscher Name

Wissenschaftlicher Name

RL SN

(1999)

RL BRD

(2009)

FFH-RL

BArtSchV

Zauneidechse

Lacerta agilis

3

V

IV

b

Ringelnatter

Natrix natrix

3

V

-

b

Schlingnatter

Coronella austriaca

2

3

IV

s

Kreuzotter

Vipera berus

2

2

-

s

RL BRD: Rote Liste Deutschland

0

Ausgestorben oder verschollen

R

Extrem selten, mit geogr. Restriktion

1

Vom Aussterben bedroht

G

Gefährdung anzunehmen, Status unbek.

2

Stark gefährdet

V

Arten der Vorwarnliste

3

Gefährdet

D

Daten defizitär

Ebenso sind die Belange des Artenschutzes zwingend zu beachten. Die Notwendigkeit zur Durchführung einer Artenschutzprüfung ergibt sich aus den Artenschutzbestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG). Mit den Regelungen der §§ 44 Abs. 1, 5, 6 und 45 Abs. 7 BNatSchG sind die entsprechenden Vorgaben der FFH-RL (Art. 12, 13 und 16 FFH-RL) und der V-RL (Art. 5, 9 und 13 V-RL) in nationales Recht umgesetzt worden. Es bedarf keiner Umsetzung durch die Länder, da das Artenschutzrecht unmittelbar gilt.

Nach nationalem und internationalem Recht werden drei verschiedene Artenschutzkategorien unterschieden (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 12 bis 14 BNatSchG):

  • besonders geschützte Arten (nationale Schutzkategorie),

  • streng geschützte Arten (national) inklusive der FFH-Anhang IV-Arten (europäisch)

  • europäische Vogelarten (europäisch).

Damit gehören zum Prüfumfang einer Artenschutzprüfung die europäisch geschützten FFH-Anhang IV-Arten und die europäischen Vogelarten. Um zum Ergebnis zu kommen, dass keine geschützten Arten betroffen sind, ist zumindest eine Vorprüfung vorzulegen, in der durch eine überschlägige Prognose geklärt wird, ob und ggf. bei welchen Arten artenschutzrechtliche Konflikte auftreten können. Um dies beurteilen zu können, sind verfügbare Informationen zum betroffenen Artenspektrum einzuholen. Vor dem Hintergrund des Vorhabentyps und der Örtlichkeit sind alle relevanten Wirkfaktoren des Vorhabens einzubeziehen. Wenn artenschutz-rechtliche Konflikte möglich sind, ist für die betreffenden Arten eine vertiefende Art-für-Art-Betrachtung in Stufe II (mit Vermeidungs- und vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen) erforderlich, die ggf. in ein Ausnahmeverfahren münden kann.

So entwickelt sich auf den ungenutzten Bahntrassen und Rangierflächen ein Gehölzbestand, der für Höhlenbrüter und Fledermäuse geeignet ist. Hierbei sind einzelne Brutvögel auch in der Vogelschutzrichtlinie der EU Anhang I aufgeführt. Als Beispiel soll hier Heidelerche (Lullula arborea), Sperbergrasmücke (Sylvia nisoria), Neuntöter (Lanius collurio) und Ortolan (Emberiza hortulana) erwähnt werden, die Bahndämme besiedeln können. Fledermäuse stehen generell unter europäischem Schutz.

Das Entgegenstehen von Natur- und Artenschutzbelangen gegenüber der geplanten Gesetzes-änderung hat der Einbringer selbst erkannt. In der Begründung zum Gesetzentwurf heißt es:

Mit dieser Bestimmung wird die gesetzliche widerlegliche Regelvermutung aufgestellt, dass bei in der Vergangenheit als Eisenbahntrasse genutzten Flächen bei Aufnahme einer Nutzung als Rad- oder Wanderweg in der Regel kein kompensationspflichtiger Eingriff im Sinne von § 14 Bundesnaturschutzgesetz vorliegt.

Hinzu kommt, dem NABU liegen Planungen einschließlich Vorplanungen für 251 Radwegevorhaben vor. Die Trassen liegen fast ausschließlich straßenbegleitend oder gewässerbegleitend. Im erstgenannten Fall haben die Wege Ortsverbindungsfunktionen und dienen oft als Schulweg. Gut einsehbar und neben der Straße liegend bieten derartige Wege viel mehr Sicherheit als mögliche auf Bahntrassen, die oft durch unbewohntes Gebiet, wie Wälder führen. Die Radwege entlang von Flüssen – Elbe, Mulde oder rund um den Stausee Bautzen – werden überwiegend touristisch oder zur Naherholung genutzt.

Für die wenigen Vorhaben auf ehemaligen Bahntrassen sollten auch aus diesem Grund keine Ausnahmen zugelassen werden.

Der Hinweis darauf, dass die Vermutung im Einzelfall widerleglich sei, wird im praktischen Vollzug ausweislich der Erfahrungen der sächsischen Naturschutzverbände in den vergangenen Jahren keinerlei Wirkung entfalten, da die zuständigen Behörden die gesetzliche Vermutung kaum in Frage stellen werden. Bereits der hiermit verbundene erhöhte Arbeitsaufwand durch Vornahme einer Eingriffs-/Ausgleichsbilanzierung sowie der gesteigerte Rechtfertigungsdruck im Verhältnis zum Vorhabenträger werden dem entgegenstehen.

Die Annahme, dass die Regelvermutung nicht davon befreie, die europarechtlichen Anforde-rungen materiell und verfahrensmäßig zu erfüllen, ist zwar zunächst richtig, zeigt aber das Unverständnis des Gesetzesvorhabens für die Systematik des Artenschutzrechtes und die eigentlichen Folgen der Neuregelung. Insofern darf zunächst unterstellt werden, dass das Gesetzesvorhaben eigentlich zu einer „Erleichterung“ der Zulassungsvoraussetzungen für die fraglichen Projekte führen soll. Allerdings erschwert der Regelungsvorschlag – was hier aus-drücklich begrüßt wird – die Genehmigungsvoraussetzungen für diese Vorhaben in artenschutz-rechtlicher Hinsicht doch nicht unerheblich. Sofern nämlich – wovon nach dem oben Gesagten in den meisten Fällen ausgegangen werden darf – artenschutzrechtliche Verbotstatbestände durch Anlage und Bau eines Rad- oder Wanderweges verwirklicht werden, ist künftig die Inanspruchnahme der Legalausnahme des § 44 Abs. 5 BNatSchG ausgeschlossen, da kein „nach § 15 BNatSchG zulässiger Eingriff“ mehr vorliegt. Ein solcher ist nämlich nur dann gegeben, wenn ein Vorhaben die Eingriffs-/Ausgleichsbilanzierung durchlaufen hat (vgl. nur Gellermann in Landmann/Rohmer, Band II, BNatSchG, § 44 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Künftig werden deshalb die fraglichen Rad- und Wanderwegeplanungen durch ein zusätzliches Befreiungs-verfahren nach § 45 Abs. 7 BNatSchG gekennzeichnet sein, an dem die anerkannten Natur-schutzvereinigungen zu beteiligen sind.

Sollte dies mit dem Gesetzesvorhaben nicht beabsichtigt sein, sondern § 44 Abs. 5 BNatSchG auch den hier behandelten Vorhaben erhalten bleiben, wäre erneut die Frage der Verfassungsmäßigkeit unter dem Gesichtspunkt der Abweichungskompetenz nach Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 GG aufzuwerfen, da der Sächsische Gesetzgeber in diesem Fall versuchen würde, durch Umgehung der Erfordernisse des § 15 BNatSchG einen neuen Fall einer Legalausnahme nach § 44 Abs. 5 BNatSchG zu konstruieren und damit Einfluss auf den Artenschutz zu nehmen. Insoweit steht ihm eine Gesetzgebungskompetenz aber zweifelsfrei nicht zu, die entsprechende Regelung wäre damit nach Art. 72 Abs. 3 Nr. 2, 31 GG verfassungswidrig. Unabhängig davon, wie man das Gesetzesvorhaben also auslegt, ist es entweder evident verfassungswidrig oder aber zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele („Nutzung der Spielräume für Erleichterungen“) schlicht ungeeignet. In beiden Varianten liegen damit hinreichende Gründe dafür vor, die beabsichtigte Gesetzesänderung abzulehnen.

Der BUND Sachsen e.V. bittet um Auseinandersetzung mit den vorgetragenen Einwendungen und um Zustellung der Abwägung zu den geplanten Gesetzesänderungen bzw. um Beteiligung an deren Fortschreibung.

Mit freundlichen Grüßen

Franziska Heß

Lars Stratmann

 

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