Interview mit einer Aktivistin von ausgeco2hlt

ausgeco2hlt versteht sich als eine offene Plattform, auf der sich unterschiedliche Gruppen und Personen vernetzen, weiterbilden und gemeinsam aktiv werden können. Das Ziel ist, eine breite Protestbewegung gegen RWE und die weitere Nutzung der Tagebaue im Rheinischen Braunkohlerevier zu organisieren. Dabei unterstützt ausgeco2hlt den Widerstand in den Abbaugebieten in der Lausitz und im Raum Leipzig. Die Braunkohlereviere sollen zu symbolischen Orten für die Klimabewegung gemacht werden.

Mia Holz (Name geändert) ist 23 Jahre alt und studiert Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften in Köln. Neben ihrer politischen Arbeit im Rheinischen Braunkohle Revier macht sie sehr viel Sport und spielt Gitarre. Politisiert wurde sie durch eine lokale Gruppe der Friedensbewegung 2010 und engagiert sich seitdem politisch und sozial. Neben der Anti-Braunkohle-Arbeit engagiert sie sich in der Geflohenenpolitik.

BUND Sachsen: Was hast du mit der Braunkohle zu tun und was bedeutet Kohle für dich?

Mia: Auf der einen Seite sehr viel, auf der anderen Seite aber auch gar nichts.

Emotional gesehen bin ich so abgeneigt der Braunkohle gegenüber, dass sie mir auf der Seite nichts bedeutet. Auf der anderen Seite sitze ich ja auch hier, ich bin gerade auf der Menschenkette, weil ich gegen die Verstromung und den Abbau von Braunkohle arbeite. Ich sehe die ganze Industrie der Kohle als ein Symbol bzw. als einen Kristallisationsort für eine systemische Kritik. Die habe ich sowohl an der vorherrschenden Ökonomie in unserer Gesellschaft, als auch an den Gesellschaftsformen, die momentan auf Konkurrenz und Wettbewerb aus sind, was direkt verstrickt ist mit der Ökonomie. In dem Sinne bedeutet die Braunkohle wieder sehr viel für mich.

Ich investiere viel Energie und Zeit um Alternativen zu finden und zu schaffen. Ich bin seit dem Klimacamp vor zwei Jahren im Rheinischen Braunkohlerevier aktiv. Bei AusgeCO2ohlt haben wir AG-Strukturen. Ich bin unter anderem in der Sanitäts-AG und der Awareness-AG. Awareness bedeutet kurz gesagt gegenseitige Wertschätzung, was auch ein zentraler Punkt in meiner politischen Arbeit ist. Es geht nicht nur darum, gegen Braunkohle vorzugehen, sondern darum, Alternativstrukturen aufzubauen. Dafür gehört für mich auch ganz zentral Solidarität untereinander, also auch eine Gesellschaft oder Gemeinschaft zu schaffen, in der sich alle wohlfühlen können und wollen und auch teilhaben können und wollen.

BUND Sachsen: Was sind für dich positive und negative Aspekte der Braunkohle?

Mia: Ehrlich gesagt habe ich ganz lange darüber nachgedacht, ob ich überhaupt positive Aspekte finde.

Im gesellschaftlichen Diskurs oder in den Medien wird häufig als positiver Aspekt der Braunkohle vor allem der Arbeitsmarkt angesprochen; dass die Braunkohle Arbeitsplätze schafft. Dem würde ich allerdings gern widersprechen, weil ich das nicht so sehe. Ich sehe eher, dass dadurch, dass vor 30 bis 40 Jahren angefangen wurde, Braunkohle zu fördern, andere Industrie bzw. Landwirtschaftszweige oder auch das Handwerk einfach ausgestorben sind. In früheren Zeiten gab es viele handwerkliche Kleinbetriebe in den Ortschaften, die jetzt abgebaggert werden. Es gab viele landwirtschaftlich arbeitende Menschen. Es gab auch andere Industrie. Dadurch, dass eine komplette Region mehr oder minder abgebaggert wird, sind auch die ganzen kleinen Wirtschaftszweige jetzt tot. Die Leute mussten dann zwangsläufig einen neuen Arbeitsplatz finden und haben dann bei der RWE oder auch Vattenfall und Eon nur bedingt Alternativen gefunden.

Es war von vornherein klar, dass die Braunkohle kein Energieträger ist, der ewig gefördert wird. Es war von vornherein klar, dass es irgendwann einen Stopp gibt. Und es wird auch einen Stopp geben, egal ob wir kämpfen oder nicht. Ganz unabhängig davon, dass die Braunkohle neben Steinkohle und Uran einer der tödlichsten Energieträger ist, wenn dieser Energieträger zu Tage kommt und eigentlich im Boden bleiben müsste. Ganz abgesehen davon ist sie auch eine endliche Ressource, bei der es, wenn sie weiter so exzessiv gefördert wird, einen natürlich bedingten Stopp gibt. Deswegen sind diese Arbeitsplätze weder nachhaltig, geschweige denn ökologisch oder sozial verträglich und für mich auch keine neuen Arbeitsplätze. Eigentlich sind Arbeitsplätze vernichtet worden.

Die Kultur in den Ortschaften geht verloren, weil die Ortschaften wegbrechen. Der Immerather Dom ist ein Beispiel, dass dafür oft genannt wird. Immerath ist auch ein Ort, der abgebaggert wird. Letztes Jahr wurde der Dom entweiht und darf damit jetzt abgerissen werden. Er ist eines der schönsten Wahrzeichen der Region. Also es gehen Wahrzeichen verloren, es geht Kultur verloren. Zum anderen führt die Braunkohle auch dazu, dass gerade auch ältere Menschen mit diesem langwierigen, bis zu 10-15 Jahre andauernden Umsiedlungsprozess psychisch derart in Konflikt geraten, dass sie daran auch streben, durch Herzinfarkt, Schlaganfall oder Nierenbeschwerden.

Es geht wirklich auf den Körper. Die Braunkohle hat schon viele Leben gekostet, sei es durch Suizid oder krankheitsbedingt.

Wenn ich jetzt noch mit den ökologischen Aspekten anfange, wenn es zum Thema Klimawandel kommt, dann überwiegt die Seite der negativen Aspekte derart, dass selbst dieses herbei erfundene, für mich nicht existente Arbeitsmarktargument derart nichtig ist, dass ich nicht verstehen kann, weshalb nach wie vor so viele Leute hinter diesem schmutzigen, sozial unverträglichen Energieträger stehen und ihn weiter zu Tage fördern und verstromen wollen.

Die Rechnung ist so einfach. Eine Tonne Braunkohle stößt eine Tonne CO2 wenn sie verstromt wird. Es wissen so viele, dass sich CO2 unter der Ozonschicht als Treibhausgas festsetzt und eine neue Schicht bildet und damit die natürlich laufende globale Erwärmung außer Rand und Band gerät. Durch die nicht mehr existente Rückreflexion der Sonnenstrahlen ins All, wird diese Atmosphäre so aufgewärmt, dass es irgendwann nicht mehr reversibel ist. Dann stehen wir an einem Punkt, an dem wir vielleicht irgendwann nicht mehr kämpfen können, weil wir dann ums Überleben kämpfen müssen. Aufgrund des Klimawandels geschehen Naturereignisse sehr viel drastischer in kürzerer Zeit. Das sehen wir auch jetzt schon.

Kalifornien ist ja eigentlich eine Wüste. Die Desertifikation in Kalifornien nimmt gerade ungeahnte Ausmaße, sodass es dort einen Bewässerungsstopp und drastischen Wassermangel gibt. Damit sehen wir direkte Auswirkungen des Klimawandels auch auf den politischen Norden!

Ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf die Länder und Gesellschaften des politischen Südens. Dort können die Menschen am wenigsten dafür, dass es den Klimawandel in der Art und Weise überhaupt gibt. Sie sind aber am stärksten davon betroffen, durch Dürreperioden bzw. starken Monsun oder Überschwemmungen. Das sieht man gerade an Bangladesch, dass die Anzahl der Monsune überhaupt nichts mehr mit dem natürlichen Monsunvorkommen zu tun hat. Die Monsune sind so stark, dass die Menschen einfach ertrinken.

Mein Verständnis ist da sehr schwierig. Es braucht viel Energie um zu verstehen, was da für Anhaltspunkte dahinterstehen die Kohle trotzdem zu Tage fördern zu wollen.

BUND Sachsen: Was denkst du, was passiert wenn die Kohle jetzt wegfällt, bzw. wir jetzt aussteigen?

Mia: Spinnen wir mal das Gedankenkonstrukt. Sagen wir, ab morgen werden alle Braunkohlemeiler abgeschaltet. Das sehe ich zweiseitig.

Einerseits hat RWE vor ungefähr zwei bis drei Wochen die Meldung herausgegeben, dass ad hoc zwei Braunkohlemeiler hier im rheinischen Braunkohlerevier wegen technischer Mängel heruntergefahren werden mussten. Dieses Bild der Glühbirne, die dann ausgeht, ist in der Tat nicht eingetreten. Es hat kein Mensch gemerkt. Weil auch den wenigsten bewusst ist, dass viel zu viel Strom in Deutschland aus Energie umgewandelt wird und wir Strom exportieren. Das führt das Ganze noch mehr ad absurdum. Das ist der eine Punkt. Wer weiß, ob überhaupt etwas passiert.

Aber wenn etwas passiert, glaube ich, kann das systemkollabierend wirken. Wenn die Leute merken, dass wir nicht mehr den Strom haben, der uns vorher zur Verfügung stand, dann müssen wir schauen, wie wir effizienter, ökologischer und sozialverträglicher mit unseren Ressourcen umgehen. Genau das ist, wo ich hinmöchte. Ich glaube nämlich, dass die Energiewende allein nicht unser Ziel sein kann. Sondern dass es eher einen systemischen Wandel braucht. Wenn wir genau in der Gesellschaft, in der Ökonomie weiterleben, die jetzt vorherrscht - das heißt Wachstum, Wachstum, Wachstum, schneller, effizienter, besser, immer etwas neues, immer etwas tolleres, besseres, noch innovativer -, dann werden wir zwangsläufig an einen Punkt kommen, an dem es einfach nicht mehr weitergeht. Genau diese Gesellschaftsstruktur können Sonne, Wasser und Wind nicht abdecken. Es geht für mich darum, dass wirklich auch ein Umdenken geschieht. Dahin, dass hinterfragt wird, ob Industriezweige gebraucht werden. Dazu gehören für mich zum Beispiel Rüstungs-, Aluminium- und Stahlindustrie; Also die Industrien, die die meisten Ressourcen neben Strom fressen. Und dass wir dann wieder zurückkommen zu einer bedarfsorientierten Ökonomie, also dass wir ein Postwachstumssystem ansteuern.

Ich habe die große Hoffnung, vielleicht bin ich da auch ein bisschen naiv, dass wenn die Leute erst einmal merken, dass nicht mehr alles jederzeit in Hülle und Fülle im absoluten Überfluss zur Verfügung steht, sich das System ändert. Man könnte ja schon fast sagen, wir leben hier im Schlaraffenland, was ich aber in Anführungszeichen setzen möchte, weil dieser Luxus, den manche haben, auch gleichzeitig bedingt, dass viele andere überhaupt nichts davon haben; die super unter den Privilegien des politischen Nordens leiden. Es wird eine Abhängigkeit geschaffen, aus der es schwierig ist herauszukommen. Ich möchte wirklich ein herrschaftsfreies, hierarchiefreies System anstreben, ohne gegenseitige Abhängigkeit, sondern aus Solidarität. Vielleicht passiert das ja, wenn die Leute merken, dass es nicht so weitergeht.

BUND Sachsen: Damit bist du auf meine nächste Frage schon ein wenig eingegangen. Was sind Alternativen für die Braunkohle?

Mia: Zum einen ist es total wichtig, dass die Subventionen für private Photovoltaik-Anlagen wieder hochgefahren werden - die sind ja gerade letztes Jahr unter der neuen Regierung zurückgefahren worden -, damit die Leute einen finanziellen Ansporn bekommen, sich Photovoltaik oder Solarthermie aufs Dach zu setzen. Was wäre es für ein tolles Bild, wenn wir alle eigenen Strom aus Energie umwandeln. Das heißt, überall siehst du Photovoltaik-Anlagen auf Dächern, auf Brachland, auf ehemaligen Industrieflächen. Sodass auch die Flächen, die schon so degradiert worden sind durch die Industrie, wenigstens wieder genutzt werden, auf einem halbwegs verträglichen Weg. Auch wenn ich sehe, dass die Photovoltaik nicht das Ende vom Lied ist. Genau so sehe ich, dass auch die Windkraft auch Perspektive in Deutschland hat. In Spanien, Südfrankreich und Portugal hat eher die Solarthermie und die Photovoltaik Perspektive. Ich glaube nicht, dass es funktioniert, wenn wir weiter auf diesen Wachstum und diesem Staatssystem aus sind. Das funktioniert nur mit einer Postwachstumsökonomie und mit einem gesellschaftlichen, gesamtheitlichen Umdenken hin zu regionalen Strukturen, weg von Staat und Kapital.

BUND Sachsen: Was ist dann für dich der nächste Schritt in der Braunkohlewirtschaft?

Mia: Der nächste Schritt ist für mich, auch die Gewerkschaften mit ins Boot zu holen. Ich glaube, dass die Gewerkschaften gesellschaftlich gesehen einen sehr starken Einflussfaktor haben und ich möchte die ökologische mit der sozialen Arbeit verbinden. Es geht nicht nur darum, den anthropogenen, vom Menschen gemachten, Klimawandel weitestgehend aufzuhalten, sondern auch darum, gemeinschaftliche Strukturen aufzubauen. Das schaffen wir nur, wenn wir alle miteinander arbeiten und am gleichen Strang ziehen. Ich finde es sehr schade, dass jetzt gerade eine Gegendemonstration der IGBCE in Berlin stattfindet, die durch RWE-Gelder finanziert wird. Es ist ziemlich absurd, dass sich Gewerkschaften jetzt von ihren Cheffinnen und Chefs mitfinanzieren lassen. Das finde ich mit meinem politischen Verständnis ganz schwierig zu verstehen. Ich glaube, das wäre der nächste Schritt, die Leute mit reinzuholen. Ich würde mir wünschen, dass viel mehr Menschen einsehen, dass es so nicht weitergehen kann. Um eben auch jetzt schon an Alternativen Arbeitsplätzen zu arbeiten, was ja immer das große Argument ist. Der IGBCE-Chef sagte in einem Interview Ende März, dass es noch zu früh ist, an einen Braunkohleausstieg zu denken. Wir steigen jetzt aus der Atomenergie aus und dann denken wir an den Braunkohleausstieg. Das ergibt für mich überhaupt keinen Sinn. Denn wenn der Atomausstieg bis 2020 geschieht, dann wird es danach maximal noch 25 Jahre geben. Denn so lange laufen auch noch die Genehmigungen für Garzweiler, Hambach und Inden in NRW. Dann haben sie auch nur noch 25 Jahre Zeit, um zu planen, was dann mit ihren ganzen ArbeitnehmerInnen geschieht. Das heißt, sie lassen als Gewerkschaft ihre ArbeitnehmerInnen mit offenen Augen ins Feuer rennen. Es gilt doch jetzt zu schauen, welche Alternativen es gibt in den innovativen erneuerbaren Energien, in neuen Wirtschaftszweigen oder in der Landwirtschaft.

Denn essen müssen wir alle. Parallel laufend ist es ein nächster Schritt mehr Öffentlichkeitsarbeit zu machen, mehr in die Diskussion zu gehen und mit den Leuten noch mehr ins Gespräch zu kommen, als wir, glaube ich, eh schon tun, und natürlich die Braunkohle zu stoppen und an einem Systemwandel zu arbeiten.



Positionspapiere für Sachsen:

Für einen geordneten Braunkohleausstieg

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